Clash of the
Cartoons
Der
Karikaturenstreit aus muslimischer Sicht
Cemil Sahinöz, erschienen in Ayasofya Nr.15, 2006, S.30-31
Als Huntington vom „Kampf der Kulturen“ sprach, meinte er sicherlich (und hoffentlich) keinen wahren Kampf, sondern einen Zusammenstoß, also ein Clash. Einen solchen Zusammenstoß erleben wir heutzutage wenn wir uns den Karikaturenstreit anschauen.
Auf der einen Seite haben wir das Abendland, auf der anderen Seite die muslimische Welt. Die unterschiedlichen Wertorientierungen dieser Länder prallen aufeinander. Für Europa mag es normal sein, Witze über die Propheten, sei es nun Muhammed oder Jesus-Witze, zumachen. Für die Muslime ist beides nicht verträglich. Propheten sind wichtige Persönlichkeiten, die geehrt und respektiert werden. So macht man weder Witze über sie, noch karrikatiert man sie.
Europa legitimiert die Karikaturen mit „Meinungsfreiheit“. Doch für viele, auch Nicht-Muslime, ist Meinungsfreiheit etwas anderes. Es ist die Freiheit eines jeden Individuums seine eigene Meinung wiederzugeben, ohne dafür „bestraft“ zu werden. Doch in diesem Fall kann man wohl kaum von Meinungsfreiheit sprechen. Die Muslime sind hart getroffen. Sie fühlen sich verletzt, da sie wieder einmal die Zielscheibe sind. Daher schlage ich vor hier das Wort „Beleidigungsfreiheit“ einzuführen. Denn die Karikaturen geben eher Beleidigungen wieder als Meinungen.
Man muss also schauen, wo hört
Meinung auf und wo beginnt Beleidigung. Der Islamgelehrte Said Nursi hat hierzu
eine schöne Erklärung: Jeder Mensch hat seine eigene Freiheit. Aber da wo die
Freiheit des Anderen beginnt, da schneiden sich die Freiheitskreise. Hier muss Toleranz auf beiden Seiten beginnen. Das heißt, auch wenn
diese Karikaturen „Meinungen“ sein sollten, hätte man auf diese Meinungen
verzichten müssen. Denn sie haben nichts weiter ausgelöst als Chaos. Denn
die Meinungsfreiheit gibt niemandem die Freiheit, einen Anderen zu beleidigen.
Die Menschenrechte stehen über der Meinungsfreiheit!
Ganz wichtig ist dabei, dass man
nicht alle in einen Topf werfen sollte. Vorurteile
können nicht mit Vorurteilen abgebaut werden. Es gibt auch genug Stimmen
aus den Reihen der Nicht-Muslime die gegen diese Karikaturen schreiben. So
kritisierte z.B. Dr. Norbert Lammert, Präsident
des Deutschen Bundestages, die Karikaturen und behauptete, dass wahrscheinlich
bewusst Muslime provoziert wurden. Da die dänische Zeitung sich weder wirklich
entschuldigt hat, noch mit der Provokation aufhört, kann man davon ausgehen,
dass dies eine bewusste Aktion war. Mit anderen Worten: Hätte man unwissend den
Propheten gezeichnet, was man in der Vergangenheit ja schon öfters gemacht hat,
hätte man Verständnis dafür. Aber wenn die Absicht negativ ist, hat dies auch
leider negative Auswirkungen auf der Seite der Muslime.
Hier
wird Franklin Roosevelts Spruch, „In der Politik geschieht nichts einfach nur so. Wenn etwas passiert,
sei dir Gewiss, ist es passiert, weil es geplant wurde.“
wieder einmal bestätigt. Denn viele wissen gar nicht, dass diese Bilder Ende
September 2005 veröffentlicht wurden. Aber erst jetzt, im Februar 2006, wird
die muslimische Öffentlichkeit Aufmerksam auf diese Bilder. Ganz nüchtern
betrachtet können wir davon ausgehen, dass die Provokation im September nicht
klappte und nun deshalb mit den gleichen Bildern eine globale Provokation
stattfindet. Die Muslime dürfen
dieses Spiel nicht mitspielen. Ohne an
dieser Stelle darauf einzugehen, möchte ich betonen, dass dieses Spiel der
erste Schritt in Richtung Iran sein könnte. Die Menschheit könnte vor einem
weiteren großen Krieg stehen. Wenn die Muslime hier falsch reagieren, gibt das
denen, die dieses Spiel gestalten, die Legitimation um weiter zu spielen.
So erwarte ich, ohne es zu hoffen, noch in diesem Jahr oder Anfang des nächsten Jahres noch eine weitere Stufe der Diskriminierung. Ich denke, es werden Theaterstücke über Muhammed gespielt werden, Filme werden gedreht werden, PC Spiele werden auftauchen. Daher ist es wichtig, dass die Muslime ein Schlussstrich ziehen. Sie dürfen es nicht soweit kommen lassen.
Was können die Muslime nun
dagegen unternehmen?
Ich weiß nicht genau, was die
Muslime dagegen tun sollten. Aber ich weiß ganz genau, was sie nicht tun
sollten: Gewalttaten. Diese legitimieren und bestätigen nur die Vorurteile,
dass Muslime gewalttätig sind. Das Stürmen von Konsulaten oder Verbrennen von
Flaggen ist genauso uneffektiv wie das Zeichnen von Holocaust-Karikaturen.
Solche Aktionen ändern nichts an der Sache. Die Muslime müssen ruhe bewahren. Denn sonst wird man vom Kläger zum Angeklagten.
Vielmehr muss man das Problem demokratisch, diplomatisch oder vielleicht sogar mit wirtschaftlichem Druck lösen. Man könnte es wie Gandi machen, der englische Produkte boykottiert hatte und die Produkte anderer Länder kaufte. So ist in der Tat eine SMS-Lavine mit den Namen von dänischen Produkten, die man nicht kaufen soll, im Umlauf.
Was
die Muslime sich aber gewünscht hätten, ist eine Unterstützung durch die
Kirchen. Bis auf sehr wenige, die nicht zuhören sind und keinen Einfluss haben,
haben die Glaubensbrüder (in Bezug auf den Einen Schöpfer) der Muslime leider
keine Reaktion auf diese Karikaturen gezeigt. Auf höheren Positionen hätten
die Kirchen ihre Meinungen dazu äußern müssen.
Ein klares „Nein“ zu den Karikaturen
ergab z.B. eine Umfrage des Nachrichtensenders CNN. Mehr als 300 Tausend
Menschen nahmen an der Umfrage teil und mehr als 90% waren gegen die weitere Veröffentlichung
der Karikaturen. Ändern tut diese Umfrage sicherlich nichts, aber es ist ein
klares Zeichen, wo die Mehrheit steht.
Zu guter letzt die Schlagzeilen von
wichtigen Zeitungen: Die Asia Times (Hongkong) schrieb „Keine Zeitung der
Welt, die Respekt vor sich selbst hat, würde derartig unethisch reagieren“.
Jordan Times (Jordanien) schrieb „Dies ist keine Meinungsfreiheit, sondern ein
gutes Beispiel für Medien-Unverantwortlichkeit“. Khaleej Times (Pakistan)
schrieb „Die Länder in Europa sind sowohl die Täter als auch die
Polizisten.“ Der Scotsman aus England dazu „Die Europäischen Zeitungen
machen die Augen zu.“
Die Schlagzeile des San Francisco Chronicle
gefällt mir noch am Besten:
„Die Muslime fragen: Wo
ist der Witz dran?“