Der
erste Aspekt:
Das Fasten im Monat Ramadan
ist eine der fünf Säulen des Islam. Es ist gleichzeitig eine der
markantesten Äußerungen der islamischen Lebensart. Das Fasten im
Monat Ramadan birgt viele Geheimnisse in sich. Es ist eine
Vergegenwärtigung der Herrschaft Gottes im Bewusstsein des
Menschen. Es dient der Stärkung des sozialen Empfindens und
reguliert das persönliche Leben der Gläubigen. Der Ramadan ist
gleichzeitig eine Schule der Selbstdisziplin und eine Zeit der
kraftvollen Dankbezeigung für die von Allah erhaltenen Gaben.
Wie wird nun der göttliche Herrschaftsanspruch
den Gläubigen durch das Fasten in Bewusstsein gerufen? Der
allmächtige Gott hat die Erdoberfläche zu einer Tafel voller Gaben
für die Menschen gemacht. Auf dieser Tafel bieten sich alle
erdenklichen Spielarten Seiner Gnade an. Sie zeugen von Seiner
Herrlichkeit, Seiner Großmut und Seiner Liebe. Die Menschen, in
Trägheit verfallen und von äußeren Ursachen und Wirkungen
geblendet, übersehen meist völlig diese Tatsache. Im Monat Ramadan
indessen unterstellen ich die Gläubigen mit einem Schlag wie eine
gut organisierte Armee einem einzigen Befehl: sie alle warten
tagtäglich bis zur beginnenden Abenddämmerung auf die Aufforderung
des ewigen Sultans: "Bitte greift zu!" Die Mitglieder
dieser gewaltigen Armee stellen dadurch ihren Gehorsam Allah
gegenüber unter Beweis. Sie erwidern auf diese Weise die empfangene
großartige Gnadenfülle mit einer tiefen, entschlossenen und
geordneten Frömmigkeit. Darf man wohl jene Menschen, die daneben
stehen und sich dieser Dankbezeigung verschließen, ihres
menschlichen Namens für würdig erachten?
Der zweite Aspekt:
Einen
weiteren tiefen Sinn des Fastens ersieht man aus folgendem
Gleichnis: Alle Speisen, die ein Speisenträger aus der kaiserlichen
Küche holt, haben ihren Preis. Hat man dem Speisenträger auch ein
Trinkgeld gegeben, so ist es dennoch höchst ungebührlich jenes
Mannes nicht zu gedenken, der die Speisen spendet. Täte man so, so
hieße es, seine Gaben geringachten. Nun hat der liebe Gott zu
Gunsten des Menschen unzählige Gaben über die Erde ausgebreitet.
Es erfordert der primitivste Anstand, die Einnahme dieser Gabe mit
Dank zu quittieren.
Der Augenblick der Überraschung der Speichen und die
äußeren Umstände ihrer Einnahme liegen im Entscheidungsbereich
des Speisenträgers. Wir zahlen diesem auch ihren Preis. Wir sind
ihm für die erfolgte Versorgung auch meist dankbar. Unser Dank geht
zuweilen über das erforderliche Maß Hinaus, je nach den
Umständen, unter denen wir die Speisen einnehmen. In Wirklichkeit
aber gebührt der Dank einem anderen Versorger: jenem, der uns die
Speisen und andere Gaben in unzähligen Spielarten und in einem
Maß, das keine Grenzen kennt, schenkt. Ihm sollte der Dank gelten.
Es ist von Nöten, zu wissen, dass jene Gaben von ihm kommen. Ihren
Wert darf man nicht bagatellisieren. Sie sind ja aus dem Lebensplan
des Universums nicht wegzudenken. Nun ist das Fasten im Monat
Ramadan ein Schlüssel zu dieser elementaren Dankbarkeit, und zwar
in einer Weise, die in Entschlossenheit und Ganzheit nichts zu
wünschen übrig lässt. Zu anderen Zeiten, da es an einem
selbstauferlegten Zwang fehlt, ist der Mensch kaum in der Lage, den
eigentlichen Hunger kennen zu lernen und so in einem permanenten Zug
den Wert, der ihm durch diesen Verzicht entzogenen Speisen, zu
erkennen. Den Satten wird nicht so leicht klar wieviel Gnade sich
allein in einem trockenen Stück Brot verbirgt - dies um so weniger,
als sie reich und für das soziale Elend abgestumpft sind. Beim
ersten Versuch, den Hunger zu stillen, wird indessen dem Gläubigen
im Ramadan allabendlich klar, was für eine wertvolle Gabe jenes
trockene Stück Brot ist. So empfindet im Ramadan jeder - der Arme
in seiner schäbigen Hütte wie der König im Palast - die
Dankbarkeit. Ihr Sinn für die Werte wird wachgerufen. Das Gefühl
der echten Dankbarkeit stellt sich ein.
Durch das jeweils für einen ganzen Tag geltende Verbot der
Speiseneinnahme, erkennt der Gläubige erst recht das Wesen der
Gnade. Die Gaben, auf die zu verzichten ist, sind nicht sein
Eigentum. "Es steht mir nicht zu, sie ohne Weiteres zu
verzehren." So ungefähr drückt er in Gedanken den Dank an den
spendenden eigentlichen Eigentümer aus. "Sie sind ja Vermögen
eines Anderen. Von diesem werden sie uns gewahrt. So warte ich auf
den Befehl oder die Zustimmung dieses Eigentümers, um sie zu
verzehren."
Solcherart erhält
das Fasten die Funktion eines Schlüssels zur fällig gewordenen
Dankbarkeit.
Der dritte
Aspekt:
Von
den vielen Ergebnissen des Fastens. die sich auf das soziale Leben
des Menschen vorteilhaft auswirken, sei hier eines angeführt. Die
Menschen sind in Bezug auf ihre Unterhaltsmöglichkeiten
verschiedenartig erschaffen. In Anbetracht dieser Verschiedenheit
fordert Allah die Reichen auf, den Armen zu helfen. Die Reichen sind
sich aber erst dann ihrer Verantwortlichkeit bewusst, wenn sie am
eigenen Leib zu spüren bekommen, was es heißt. hungern zu müssen.
Es sind viele eigensüchtige Menschen unter uns, die kaum jemals das
Drama des Elends und des Hungers in der Welt erkennen würden, wenn
es keine Forderung nach dem Fasten gäbe. In dieser Hinsicht bildet
die Liebe, zum Mitmenschen die Grundlage der wahrhaftigen,
Dankbarkeit zu Allah. Jedermann kann in der Welt einen Anderen
finden, der ärmer ist als er. Seine Pflicht diesem gegenüber ist
es, mildtätig zu sein.
Verzichtet man
nicht das eigene Ich zum freiwilligen Fasten, erlegt man sich also
auf Grund des religiösen Gebotes keinen Fastenzwang auf, so ist man
versucht, die Erfüllung des Gebotes der Liebe und die tätige Hilfe
für den Mitmenschen auf die lange Bank zu schieben, oder gar zu
unterlassen, oder aber mangelhaft auszuüben. Denn da fehlt noch die
selbstgewonnene Erkenntnis des Hungers und der Bitternis des
Leidens.
Der vierte
Aspekt:
Betrachten
wir einmal das Fasten vom Standpunkt der Diätethik der Seele, so
sehen wir, dass ihm auch dies bezüglich viele Vorteile anhaften.
Einer davon möge hier erwähnt werden: die Begierden streben
danach, frei und ungehindert zu sein. Das ist der Durchschnittsfall
bei den meisten Menschen. Sogar die eingebildete Selbstherrlichkeit
und ein beliebiges freies Schalten und Walten kommen einem häufig
als etwas Selbstverständliches vor. Der Mensch denkt nicht ohne
Weiteres daran, sich durch die grenzenlosen Gnaden um ihn herum,
erziehen zu lassen. Hat er Vermögen und Macht zusammengerafft und
ist er dabei überdies von Gottvergessenheit befallen, so neigt er
dazu, in vollen Zügen zu schöpfen. Der Gedanke an die Herkunft der
in Anspruch genommenen Gnaden liegt ihm fern. Er verschlingt alles,
was ihm gut und bekömmlich vorkommt, und zwar in einer Art, die
sich von jener der Tiere kaum unterscheidet. Nun begreift im Monat
Ramadan der tätige Gläubige, ob reich oder arm, dass er nicht
Eigentümer der begehrten Dinge ist, sondern dass vielmehr er selbst
das Objekt eines Eigentumsverhältnisses ist. Er ist von Natur aus
nicht ganz frei, sondern verknechtet. Ist der Herr damit nicht
einverstanden, so vermag die Menschenseele nicht einmal die
einfachsten Bewegungen zu tätigen. Es vermag die Hand nicht das
Wasser zu erreichen. Die eingebildete Selbstherrlichkeit bricht
zusammen, die Knechtschaft tritt klar zu Tage. Nun beginnt die Seele
erst, die Dankbarkeit zu empfinden, die ihre ureigene Aufgabe ist.
Der fünfte
Aspekt:
Gehen
wir daran, den Wert des Ramadanfastens in moralischer Hinsicht zu
ermitteln, wollen wir also konkret feststellen, bis zu welchem Grade
der Ramadan die Gläubigen von fragwürdigen Planungen und offenen
Missetaten abhält, so erkennen wir bald eine Reihe von positiven
Seiten, die diesem Fasten innewohnen. Hier nur einige Bemerkungen
darüber: Die menschliche Seele wird viel zu leicht nachlässig. Sie
verkennt leicht ihre Ohnmacht, ihre unsagbare Armut und ihre
Mangelhaftigkeit. Sie will sie nicht sehen. Der Mensch denkt ungern
daran, dass er schwach ist. Es entgeht ihm auch leicht, wie sehr
seine Vergänglichkeit sich tagtäglich auf seinem Gesicht
widerspiegelt und wie stark er infolge verschiedener Unbill dem
Verfall nahe steht. Er fühlt sich vielmehr wie aus Stahl, handelt
so, als ob er unsterblich wäre und klammert sich mit beiden Händen
an die Güter der Welt. Mit Gier und ungezähmter Leidenschaft
stürzt er sich auf die Genüsse, die sich ihm bieten. Alles, was
ihm bekommt und was ihm scheinbare Vorteile einbringt, fesselt seine
Aufmerksamkeit. Dabei vergisst er den Schöpfer, der ihn mit
grenzenloser Güte umgeben hat und der ihn leben und gedeihen
lässt. Das Fazit eines Treibens und die letzten Dinge liegen nicht
in seinem Blickfeld. Nicht selten wälzt er sich, vom Genuss
geblendet, im Morast der Unsitte und Bosheit.
Das
Ramadanfasten lässt alle, selbst die Nachlässigsten und
Starrköpfigsten, ihre Schwächen, Ohnmacht und Armseligkeit
erkennen. Der Hunger treibt sie, an ihren Magen und seine
Bedürfnisse zu denken. Sie beginnen zu begreifen, in welch hohem
Maße ihr Körper schwach und anfällig ist. Dem Fastenden wird
klar, wie sehr er selbst des Mitleids und der Güte bedarf. So
beginnt er die pharaonische Selbstherrlichkeit in sich zu bezwingen
und in Anbetracht der erkennbaren, vollkommenen Ohnmacht bei Allah
Zuflucht zu suchen. Er bereitet sich vor, mit dankbarem Herzen an
der Schwelle der großen Gnade anzuklopfen, es sei denn, dass sein
Herz infolge seiner Gottvergessenheit schon wie vom Rost angenagt
ist.
Der sechste
Aspekt:
Das
Fasten im Monat Ramadan ist auch deshalb bedeutungsvoll, weil es in
jener Zeit fällt, in der der Qur'an geoffenbart wurde. So sind dies
die Tage an denen an die islamischen Offenbarung gedacht wird. Schon
aus diesem Grunde gehört es sich, die niederen Triebe zu
bekämpfen. Die göttliche Offenbarung verdient einen schönen
Empfang. Durch den Verzicht auf Speise und Trank gleichen sich die
Gläubigen gewissermaßen den Engeln in. Sie rufen das Erlebnis der
ersten Muslime, wach, die verheißungsvoll auf das göttliche Wort
warteten Es ist so, als ob sie das Entstehen des Islam von neuem
miterlebten und aus dem Munde des Gesandten Gottes die Verkündigung
vernahmen. Die ganze Gemeinde erlebt einen erwartungsvollen,
heiligen Zustand, als ob der Engel Gabriel oder der ewige Sprecher
ihnen direkt Botschaften zukommen ließe. Der Gläubige selbst wird
zum Dolmetscher, der den Qur'an weiter gibt und das Geheimnis seiner
Offenbarung lüftet.
Im Monat Ramadan
verwandelt sich die islamische Welt gewissermaßen in eine Moschee.
Sie wird zu einem gewaltigen Gebetshaus, in dem all überall die
Rezitatoren (Hafiz), umgeben von vielen Millionen Menschen, die
himmlische Botschaft verkünden. Jeder, der will, kann sie
vernehmen. In jedem Ramadan wird in glänzender, strahlender Weise
das qur'anische Wort be-stätigt: "Der Monat Ramadan, in dem
der Qur'an herabgesandt wurde." Der Ramadan beweist, dass er
der Monat des Qur'an ist. Die Mitglieder dieser gewaltigen
Gemeinschaft lauschen den Vorträgen der Hafiz.
Manchen von ihnen
ist die fromme Hingebung und Begeisterung anzumerken. Andere lesen
still, jeder für sich. Jene Einzelgänger, die sich auch in dieser
heiligen Situation ihren Trieben hingeben und sich durch Essen oder
Trinken dieser lichtvollen Haltung entziehen, rufen
verständlicherweise mit diesem hässlichen Tun den Ärger und die
Verachtung der Gemeinschaft hervor. Aber nicht nur ihre nähere
Umgebung findet sie verachtenswert, sie haben die ganze islamische
Welt gegen sich.
Der siebente
Aspekt:
Die
Menschen kommen in diese Welt, säen und treiben Handel und werden
im Jenseits die Fruchte ihrer Arbeit ernten. Auch diesbezüglich
wirft das Ramadanfasten reiche Ernte ab. Einer seiner Vorzüge ist
folgender:
Die guten Taten,
die im Ramadan gesetzt werden, werden von Gott tausendfach
vergolten. Nach einem Hadith bringt jeder Qur'anbuchstabe zehn
Pluspunkte bei Gott ein. Im Ramadan sind es nicht zehn sondern
tausend. Der Gotteslohn für die gelesenen Our'anstellen, wie für
Ayat-al Kursi, wird im Ramadan vertausendfacht. Ihre Lesung zu
dieser Zeit ist gottgefälliger als an den Freitagen. Ja in der
Laylat-u1 Qadr (der Nacht des göttlichen Ratschlusses, das ist
voraussichtlich die 27. Nacht des Monats Ramadans) ist sie Gott
dreißigtausendfach wohlgefälliger. In der Tat gleicht jeder
Buchstabe einem ganzen Qur'an, der dreißigtausend Früchte
hervorbringt, wie der leuchtende Baum der Glückseligkeit (Secere-i
Tuba). Auf diese Weise können die Gläubigen im Monat Ramadan
Millionen von Früchten ernten.
Nun komm und
beteilige dich an diesem heiligen, glückbringenden Handel. Bedenke,
welch großem Schaden Jene sich aussetzen, die den Wert dieser
Buchstaben nicht begreifen.
Der heilige Ramadan
ist also ein Markt- und Handelsplatz für das Jenseits Da ist der
Boden am fruchtbarsten, um den Samen zu setzen, damit die Ernte im
Jenseits gut ausfalle. Er ist wie der Frühlingsregen, der die Samen
zum Leben erweckt. Er ist wie die glänzendste Parade der
Menschheit, veranstaltet zu Ehren ihres göttlichen Herrschers. Da
der Ramadan dies ist und dies sein soll, ist der Gläubige
verpflichtet, sich nicht gehen zu lassen, sondern den tierischen
Begierden die Stirn zu bieten. So befreit er sich zeitweise vom
Tierischen, erklimmt die Regionen des Engelhaften. Da er an einer
guten Aufnahme im Jenseits interessiert ist, unterdrückt er
freiwillig vorübergehend seine diesseitigen Bedürfnisse. Mit dem
Fasten entsteht also eine Art Widerschein der Ewigkeit.
Der heilige Monat
Ramadan trägt fürwahr schon in dieser vergänglichen Welt, schon
in diesem kurzen irdischen Leben ein ewiges, unvergängliches Leben
in sich, das es zu gewinnen gilt.
Ein einziger
Ramadan kann uns die Früchte eines achtzigjährigen Lebens
einbringen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Qur'an ist die
Laylat-ul Qadr besser als tausend Monate. Das ist ein sicherer
Beweis. In der Tat lässt ein König im Verlauf seiner
Regierungszeit jährlich oder gelegentlich, z.B. anlässlich seiner
Thronbesteigung Festtage ausrufen und eine glanzvolle Feier
veranstalten. Er verkündet eine allgemeine Amnestie, zeigt sich in
der Öffentlichkeit, gewährt Privataudienzen und ehrt die treuen
und verdienten Bürger seines Reiches durch ein Gastmahl, Genauso
hat auch der König, der in Seiner Majestät und Herrlichkeit über
die achtzehntausend Welten herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit in
diesem heiligen Monat Ramadan den hochehrwürdigen Qur'an als einen
koniglichen Erlass für diese achtzehntausend Welten herabgesandt.
Darum verdient es dieser Monat mit Recht, ein besonderes Fest
Gottes, eine Messe des Herrn und eine Versammlung und Vereinigung
der Seelen genannt zu werden. Sicherlich verdient der Ramadan die
Qualifikation eines göttlichen Festes, einer göttlichen Schau und
eines geistigen Konzils.
Gemäß dieser
Natur des Ramadans war er angebracht, die Menschen aufzufordern, zu
dieser Zeit zu fasten, um sich dadurch wenigstens eines Teiles ihrer
niederen, physischen Bedürfnisse zu enthalten. Das vollkommenste
Fasten heißt, jeglichem Hungergefühl und allen Begierden, den
Organen, wie der Magen, den Augen, den Ohren, der Zunge, aber auch
dem Herzen, der Phantasie und den Gedanken ein Fasten aufzuerlegen.
Mit anderen Worten: allen verbotenen und unbedeutenden Dingen aus
dem Wege zu gehen und jedes Organ auf eine besondere Funktion - den
Gottesdienst - zu orientieren, seine Zunge von der Lüge, von übler
Nachrede, von groben und hässlichen Worten zu bewahren und in
dieser Form ein Fasten zu halten und diese Zunge stattdessen darin
zu üben, den Qur'an zu lesen, die Heiligen Namen Gottes immer
wieder zu rezitieren, Ihn zu lohen, zu rühmen und zu preisen,
Gebete zu verrichten und Allah um Verzeihung anzurufen; die Augen
vor unerlaubten Dingen zu bewahren und sie stattdessen auf
lehrreiche Dinge zu lenken, das Ohr vom Hören schlechter Dinge
abzuwenden und es auf schöne und wahrhaftige Reden zu richten, den
Qur'an anzuhören - dies alles ist eine Art Fasten.
Weil aber nun die
Verdauungsorgane die größte Industrieanlage in unserem Körper
darstellen, ist es umso leichter, all die anderen kleinen
Werkstätten zur Nachfolge anzuregen, hat man erst einmal diese
große Anlage stillgelegt und ihre Arbeiter in Urlaub geschickt.
Der achte
Aspekt:
Das
persönliche Dasein des Menschen hat vom Ramadanfasten ebenfalls
viele Vorteile. Eines der wirksamsten Heilmittel in der Gestaltung
eines gesunden Lebens ist die materielle und geistige Diät. Läßt
der Mensch bei der Einnahme von Speisen seinen Begierden freien
Lauf, so schädigt er nicht nur seinen Körper, auch seine Seele
leidet darunter, weil er der Maßlosigkeit nicht mehr Herr werden
kann und das Erlaubte von dem Verbotenen nicht zu unterscheiden
vermag. Einem solchen Menschen fällt es mit der Zeit schwer, sich
nach den feinen Empfindungen des Herzens zu richten und dem Geist zu
folgen. Die Gier übermannt ihn, so daß er sie nicht mehr bezwingen
kann.
Im Ramadan gewöhnt
sich der Gläubige mit Hilfe des Fastens an eine Art Diät. Er
befleißigt sich einer Art Disziplin und lernt, Befehle zu befolgen.
Er beugt den Krankheiten vor, indem er seinen armen Magen keinen
Überlastungen aussetzt und ihn schon wieder füllt, noch bevor er
überhaupt leer geworden ist. Dadurch, daß er sich einem Befehl zu
unterwerfen 1ernt, befähigt er sich, die Befehle der Vernunft und
des Gesetzes leichter zu befolgen. Er bemüht sich somit, das Leben
seiner Seele nicht zu ruinieren.
Der überwiegende
Teil der Menschheit wird bedauerlicherweise immer noch zeitweise von
Hungerkatastrophen heimgesucht. Um den Hunger in den kritischen
Situationen einigermaßen erfolgreich bezwingen zu können, bedarf
es der Geduld, des Trainings und der Selbstdisziplin. Wenn nun der
Muslim oder Muslima fünfzehn Stunden lang tagelang freiwillig
hungert, so ist da eine ausgezeichnete Schule der Geduld, die mit
der Zeit zur Fähigkeit führt, Hunger und andere leiden zu
ertragen. Nimmt der Gläubige vor der Morgendämmerung keine Speisen
ein, so dauert dieses tägliche Training im Ramadan volle 24
Stunden. Mit anderen Worten, das Ramadanfasten ist auch ein
Hilfsmittel, um die Naturkatastrophen heil überstehen zu können.
Denn bei Mangel an Fähigkeit, die Leiden in Geduld und Ruhe zu
ertragen, wird manche Tragik doppelt so schwer empfunden.
Die zentrale
"Fabrik" im Körper, der Magen, hat eine zahlreiche
Belegschaft und die erwähnten Nebeneinrichtungen stehen ihr zur
Verfügung. Wenn nun diese Belegschaft und die erwähnten
Nebeneinrichtungen infolge Urlaubs keinen Dienst mehr versehen, sind
sie praktisch dem tyrannischen Regime des Magens entschlüpft. Sie
können in sich also in dieser Zeit sich selbst widmen. Sonst sind
sie sozusagen ständig unter Volldampf: immer unter Druck immer vom
Lärm und vom Dunst jener "Fabrik" umgeben. Sie beansprucht
ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie betäubt geradezu ihre
"Sinne". Nun werden für eine Zeitlang diese Funktionen
und ihre Einwirkungen ausgeschaltet. Es mag in dieser Tatsache
begründet sein, daß geistig hochstehende und von Gott begnadete
Menschen zu ihrer Vervollkommnung sich dieser Disziplin zu
unterziehen pflegten. Sie aßen wenig und tranken wenig. Im Zuge des
Fastens beginnt jene "Belegschaft" zu begreifen, daß sie
nicht allein wegen der "Fabrik" in der Welt sei. Auch die
anderen Körpereinrichtungen hören im Ramadan auf, sich mit
niederen Arbeiten jener "Fabrik" zu befassen, sie beginnen
die Beschäftigung mit geistigen Angelegenheiten auszukosten. Ihre
Blicke sind in jene Richtung gelenkt. Dadurch läßt sich erklären,
daß im Monat Ramadan die Gläubigen vielfach verschiedenen
Erleuchtungen, Gnaden und geistigen Freuden eröffnet werden - dies
entsprechend dem jeweiligen Grad ihrer geistigen Entwicklung. Alle
innerlichen und äußerlichen Organe des Menschen, Leib und Seele,
Herz, Verstand und Gemüt, die geheimnisvollen, inneren feinen
Kräfte des Geistes werden im Fasten neu wieder belebt und
gestärkt. Trotzdem sich der vor Hunger leere Magen zusammenzieht
und knurrt, füllt sich die Seele mit innerer Freude.
Der neunte
Aspekt:
Das
Ramadanfasten zerstört eingebildete Selbstherrlichkeit und stärkt
das Bewusstsein des Menschen von seiner Abhängigkeit von Gott. Die
Triebe sind von sich aus nicht geneigt, ihren Herrn zu erkennen. Sie
wollen pharaonisch selbst herrschen. Wie sehr sich der Mensch auch
bemühen mag, ihnen eine andere Verhaltensweise aufzuzwingen, sie
bleiben doch ihrem Wesen treu. Mit dem Hunger wird jedoch die ihre
Grundneigung bezwungen. Im Ramadan wird also ein direkter Schlag
gegen die Triebhaftigkeit und ihr pharaonisches Verhalten geführt.
Ihre Schwäche, Ohnmacht und Armseligkeit werden aufgedeckt. Im
Fasten wird der Mensch wieder darüber belehrt, daß er ein Diener
und Anbeter seines Herrn ist.
Im Hadith begegnen
wir folgender Überlieferung: Gott befragte die Begierde: "Was
bin ich, was bist du?" Die Begierde sprach: "Ich bin ich,
Du bist Du!" Gott unterzog sie darauf einer Strafe. Sie wurde
in die Höllegeworfen. Dann stellte Er wieder dieselbe Frage. Die
erwiderte auch diesmal: "Ich bin ich, Du bist Du." Welcher
Strafe Er sie auch unterzog, sie ließ von ihrem Trotz nicht ab.
Dann bestrafte Er sie mit Hunger. Nach einer Zeit befragte Er sie
von neuem: "Man ana wa ma anta?" (Wer bin ich und was bist
du?) Nun sprach die Begierde: "Du bist mein gnadenvoller Herr,
ich hingegen bin Dein schwacher Diener."
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