Ich war gefangen in Guantanamo
Buchrezension
Stellen Sie sich vor, Sie reisen wegen ihrer Hochzeit nach Pakistan und werden
plötzlich als Al-Qaida-Mitglied gefangen genommen. Oder Sie reisen durch
Afghanistan. Mann nimmt Sie fest. Foltert und zwingt Sie einzugestehen, dass
Sie ein Anhänger von Osama Bin Laden sind.
Genauso erging es Nizar Sassi, einem Franzosen, tunesischer Abstammung. Seine
Neugier nach Schusswaffen wurde ihm zum Verhängnis. Sassi, der weder religiös
noch politisch aktiv ist, begab sich noch vor dem 11.September auf eine Reise
nach Afghanistan, um seine Leidenschaft für Waffen zu befriedigen. Denn ein
Freund riet ihm, in Afghanistan könne man ohne Probleme an Waffen rankommen
und an Schießprogrammen teilnehmen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Sassi, so wie die meisten Menschen, noch nie
etwas von Al-Qaida oder Bin Laden gehört. Erst als am 11.September die Anschläge
in New York stattfanden, durchquerte Bin Ladens Name die ganze Welt. Sassi,
der am Tag des Anschlags in Afghanistan war, verfolgte die Anschläge
geschockt vor dem Radio.
Endlose Qual
Wenige Tage später beginnt die Bombardierung Afghanistans durch die USA.
Sassi flieht nach Pakistan und versucht wieder in seine Heimat, nach
Frankreich, einzufliegen. Doch vergebens. Sassi wird als "möglicher"
Terrorist verhaftet und zunächst in Pakistan inhaftiert.
Als er schließlich als mutmaßlicher Terrorist und Bin-Laden-Sympathisant an
die Amerikaner ausgeliefert wird, beginnt eine zweieinhalbjährige Hölle für
ihn. Im Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo, auf Kuba, wird er eingepfercht
in einer winzigen Gitterzelle und wird sengender Sonne, zermürbenden
Vernehmungen, Demütigungen, Schlägen und psychischer Folter ausgesetzt.
Die endlosen und sinnlosen Verhöre werden für ihn zur Qual. Seine
Hoffnungen, befreit zu werden, sinken von Tag zu Tag. Auch als französische
Botschafter kommen, und Sassis Hoffnungen auf eine Befreiung steigen, wird er
sofort wieder enttäuscht, da sich die Diplomaten nur als Marionetten der
Amerikaner herausstellen.
Pflichtlektüre für Jedermann
Erst Nizars Bruder Aymane gelingt es, mithilfe einer amerikanischen Bürgerrechtsbewegung
im Juli 2004 Nizars Auslieferung nach Frankreich zu erwirken. Doch auch dies
ist nicht das Ende. In Frankreich wird er erneut des Terrorismus verdächtigt
und für anderthalb Jahre inhaftiert.
Die unmenschlichen Folter, herabwürdigenden Strafen und unmoralischen und
unethischen Handlungen der Amerikaner gegen die Häftlinge und gegen
islamische Symbole (u.a. Gebetsteppich und Koran), müssen die Leser dieser
hervorragenden Lektüre erst einmal verdauen. Nizar Sassi beschreibt die Verhältnisse
von Guantanamo in einer so beeindrucken und gleichzeitig erschreckenden Weise,
dass der Leser sich öfters fragen muss: „Wie kann ein Mensch diese Qualen
nur aushalten. Und wie können Menschen so unmenschlich sein.“
Alles in einem, eine Pflichtlektüre für Jedermann. Gerade heute, wo über
die Schließung des Hochsicherheitsgefängnisses in Guantanamo diskutiert und
protestiert wird, ist die Lektüre von Sassi, der seit seiner endgültigen
Freilassung im Januar 2006 wieder in Frankreich lebt und für seine
Rehabilitierung kämpft, ein Dokument und Zeugnis einer Unmenschlichkeit.
Cemil Sahinöz | KISMET 08.02.2007