(Bild: Suhrkamp Verlag) Die Gesellschaft wird dichotomisiert in "wir" und
"sie" (Broden, 2006, S.8). "Wir", das sind sie Abendländer aus dem Okzident.
"Sie", sind die Morgenländer aus dem Orient, die belehrt, aufgeklärt und von
ihrer Unwissenheit befreit werden müssen. Diese beiden künstlichen Gruppen,
werden als "einheitliche und unveränderbare Größen" (Leibrecht, Lutz, 2006,
S.10) dargestellt.
"Sie" sind meistens die Muslime, die von der Gesellschaft ausgeschlossen
werden. Diese Ausgeschlossenen schließen sich in einem zweiten Schritt
selber noch einmal aus und sehen (jedenfalls die deutsche) Integration eher
als Assimilation, was ein Paradox zur Integrationspolitik ist. Diese
Tatsache wird von der Politik und besonders von den Medien (teilweise
bewusst) übersehen, so dass dieses Phänomen einfach als "Verweigerung
gesellschaftlicher Teilhabe" bezeichnet wird.
Sie schieben die Schuld also denen zu, die sie selber aus der Gesellschaft
und der Politik permanent ausschließen. "Kulturkonflikt" oder "Leben
zwischen den Welten" sind die Argumente, die benutzt werden, um zu
externalisieren. So wird z.B. die muslimische Kultur als Fremdkörper aus
unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Es werden zunehmend mehr
Parallelgesellschaften produziert, obwohl man diese doch bekämpfen wollte.
Eine Frage der öffentliche Wahrnehmung
Genau diesem Phänomen widmet sich Elisabeth Beck-Gernsheim, Professorin für
Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie schreibt über Kopftuch,
Zwangsheirat und andere Missverständnisse. Dabei geht sie davon aus, dass
der Islam in vielerlei Varianten praktiziert wird. In den Medien jedoch wird
daraus ein monolithischer Block: "der" Islam als Symbol für Fanatismus,
terroristische Bedrohung, für Rückständigkeit und archaische Lebensformen.
Während auf der Ebene der Politik sich allmählich die Einsicht durchzusetzen
beginnt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, steht in der
öffentlichen Wahrnehmung ein vergleichbarer Bewusstseinswandel aus. Das Buch
handelt von den Bildern, die in Medien und Alltag über Migranten und
ethnische Minderheiten kursieren: zum Beispiel die enge Traditionsbindung,
die für Einwanderer charakteristisch sein soll; oder das traurige Los der
unterdrückten Ausländerfrau; oder das Schicksal der zweiten Generation,
verloren im Kulturkonflikt.
Warum können sich solche unbegründeten Vorstellungen halten? Weil, so
Elisabeth Beck-Gernsheim, die Einheimischen »die Anderen« aus dem
mononationalen Blickwinkel der deutschen Mehrheitsgesellschaft betrachten.
Die Erfahrungen der Migranten und Minderheiten dagegen sind transnational:
sind aufgespannt zwischen mehreren Ländern, Kulturen und Zentren, sind
geprägt vom Nebeneinander mehrerer Sprachen, Heimaten, Weltbilder. Dort
mononational, hier transnational – aus der Diskrepanz dieser Blickwinkel
erklären sich viele Kontroversen, die die Migrationsdebatten in Deutschland
kennzeichnen.
Andere werden als "Fremde" wahrgenommen
In einer beeindrucken Weise geht sie der Frage nach, wo die Ursachen solcher
fataler Vorstellungen liegen und wie sie sich so hartnäckig halten. Dabei
wird ganz deutlich, dass die Mehrheitsgesellschaft sich "ein Bild vom Islam"
macht, wodurch Missverständnisse und Vorurteile verbreitet werden.
Vor allem die sozialwissenschaftliche Herangehensweise der Autorin, bringt
dem Leser das näher, was ihm fremd und bösartig erscheint: Die Anderen
(zumeist Muslime). In 8 Kapiteln behandelt sie Themen wie z.B. "Wie
traditionsorientiert sind Migranten?", "Was heißt Tradition?", "Das traurige
Lied von der armen Ausländerfrau", "Türkische Bräute und andere
Opfergeschichten", "Die zweite Generation – Zwischen den Kulturen
verloren?", "Im Irrgarten der Ausländerstatistik", "Interkulturelle
Missverständnisse und Fallen", "Machtverhältnisse und Masken", "Anatomie und
Kritik des mononationalen Blicks".
Als Fazit kommt sie zum Ergebnis, dass Missverständnisse durch die, Eingangs
erwähnte, Dichotomisierung entstehen. "Die Anderen" werden als Fremde
angesehen. Diese Missverständnisse werden durch den Nationalstaat und die
Fallen des Nationalismus und Universalismus weiter vorangetrieben.
Erst wenn das Bild des "Fremden" verschwindet und aus Distanz Nähe wird,
könne man Missverständnisse, Vorurteile und Feindseligkeiten, die gegenüber
dem Islam bestehen, ausräumen. Alles in einem in dieses Buch für Jedermann
geeignet. Vor allem, wenn man sich der Gesellschaft verpflichtet fühlt und
eine Basis für Toleranz schaffen will.
Cemil Sahinöz
Literatur:
Broden A.: Notwendige Differenzierungen: Der Karikaturenstreit im
bundesdeutschen Migrationsdiskurs. In: IDA-NRW. Zeitschrift des
Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in NRW.
1/2006, 12.Jg., S.6-9
Leiprecht R., Lutz H.: Wir brauchen den kritischen Dialog und keine
Polarisierung. In: IDA-NRW. Zeitschrift des Informations- und
Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in NRW. 1/2006, 12.Jg.,
S.9-12
Erschienen in: KISMET - 10.11.2007